23.06.2021
Der nach langen Verhandlungen gefundene Kompromiss im EU-Klimagesetz, die Reduktion der Emissionen um 52,8 %, ist ein Klimaziel, mit dem die Ziele des Pariser Klimaabkommens schlichtweg nicht erreicht werden können. Wir brauchen mutige Reduktionsziele, um die Klimakrise zu stoppen. Wir haben keine Zeit zu verlieren, um die Erderwärmung drastisch zu verlangsamen. Wir können nicht einem Klimagesetz zustimmen, das alle unsere Klimaversprechen bricht, schrieb Micha Bloss, MdEP DieGrünen/EFA, Verhandlungsführer der Grünen/EFA zum europäischen Klimagesetz.
Die Grünen/EFA-Fraktion hat die Forderung nach einem EU-weiten Klimagesetz angeführt. Wir wollten ein Gesetz, das die Instrumente und Ziele, die wir für die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens brauchen, in der Gesetzgebung verankert. Tausende von Aktivist*innen sind dafür mobilisiert worden. Junge Menschen haben auf den Straßen protestiert. NGOs und Klimawissenschaftler*innen haben eindringlich vor Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen, Waldbränden, Wasserknappheit und Artenverlust gewarnt. Wir waren die lauteste Stimme im Europäischen Parlament, die eine konsequente Reduzierung der Emissionen forderte. Wir wollten ein Gesetz, das unsere Forderung unterstützt.
Nach monatelangen Verhandlungen muss ich leider sagen, dass das europäische Klimagesetz einfach nicht ausreicht, um den globalen Temperaturanstieg auf 2°C zu begrenzen, geschweige denn auf die 1,5°C, die wir laut Klimawissenschaftler*innen erreichen müssen. Dieses von der Lobby der fossilen Brennstoffe und den EU-Regierungen verwässerte Klimagesetz ist weder mit der Wissenschaft noch mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens in Einklang zu bringen. Was jetzt auf dem Tisch liegt, sind unfertige Maßnahmen und gebrochene Versprechen.
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Die EU sollte vor einem der wichtigsten Klimagipfel dieses Jahrzehnts, dem COP26 in Glasgow, führen im globalen Klimaschutz.
In diesem Podcast erzählen uns Wissenschaftler, Politiker und Aktivisten mehr über das neue europäische Klimagesetz. Sind Europas Klimamaßnahmen genug, um eine Klimakatastrophe zu vermeiden?
Alles auf Anfang: Was ist das EU-Klimagesetz?
Im Frühjahr 2019 haben Millionen von Europäerinnen und Europäer die Aufforderung Greta Thunbergs gehört und sind auf die Straße gegangen, um echte Klimaschutzmaßnahmen zu fordern. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament schwappte eine grüne Welle über Europa. Die Entscheidungsträger*innen waren nun gezwungen, den Kopf aus dem Sand zu ziehen und ein eigenes Gesetz zur Bekämpfung der Klimakrise vorzuschlagen.
Unter dem Druck der Grünen/EFA und dem massiven öffentlichen Aufschrei wurde ein europäisches Klimagesetz auf die Agenda der Europäischen Union gesetzt. Das Ziel war es, die Klimaneutralitätsziele für 2050 in europäischem Recht zu verankern. Dies sollte eine rechtliche Grundlage für Klimamaßnahmen bilden. Einfacher ausgedrückt: Sobald das Gesetz verabschiedet ist, verlangt es, dass sich alle anderen EU-Gesetze ändern und mit den Zielen des Klimagesetzes in Einklang gebracht werden. Das bedeutet, dass es indirekt verbindliche Gesetzesänderungen erzwingen wird, denen alle europäischen Länder folgen müssen.
- September 2019: nach einem Jahr zunehmender öffentlicher Proteste schlossen sich Millionen von Menschen einer Welle globaler Klimastreiks an
- November 2019: das Europäische Parlament ruft den Klimanotstand aus.
- Dezember 2019: Die Europäische Kommission stellt ihren European Green Deal vor, der Pläne für ein EU-Klimagesetz enthält.
- März 2020: Die Europäische Kommission schlägt einen Entwurf für ein EU-Klimagesetz vor.
- Oktober 2020: Die Grünen/EFA haben das Europäische Parlament überzeugt, eine ambitionierte Position zum EU-Klimagesetz einzunehmen. Wir erhalten Unterstützung für ein Treibhausgasbudget, einen unabhängigen Klimarat und ein bahnbrechendes Emissionsreduktionsziel von 60%.
- Dezember 2020: Die europäischen Staatschef*innen einigen sich auf ein niedrigeres Netto-Emissionsreduktionsziel von 55%.
- Mai 2020: Nach monatelangen Verhandlungen erzielen das Europäische Parlament und der Europäische Rat eine Einigung.
- Juni 2020: Das Europäische Parlament stimmt über die Vereinbarung zum europäischen Klimagesetz ab.
- Heute: Der Kampf gegen die Klimakrise ist dringlicher denn je.
Was ist schief gelaufen? Warum wird das EU-Klimagesetz nicht ausreichen, um die Klimakrise zu stoppen?
Während wir im Europäischen Parlament erfolgreich Unterstützung für mehr Klimaziele generieren konnten, gerieten die EU-Regierungen, insbesondere jene mit einer starken Lobby für fossile Brennstoffe, in Panik. Nur wenige Monate zuvor hatten sie bereits Elemente des Green New Deal verwässert.
Sie benutzten die gleichen alten Argumente: „ambitionierte Klimaschutzpolitik ist nicht machbar“ und „Klimaschutz könnte der Wirtschaft schaden“. Diese Argumente hören wir seit Jahrzehnten, aber die Experte*innen sagen, dass dies nicht stimmt. Eine aktuelle Studie hat bewiesen, dass eine grüne Wirtschaft eine Million neue Arbeitsplätze in ganz Europa schaffen könnte. Ehrgeizige Emissionsreduktionsziele kurbeln das Wirtschaftswachstum durch Investitionen in den Energiesektor sogar an.
Dennoch suchten die Regierungsminister*innen im Europäischen Rat nach Ausreden und nicht nach Lösungen. Sie haben sich dann auf ein Netto-Emissionsreduktionsziel von 55% geeingt. Das Wort „netto“ öffnet jedoch ein juristisches Schlupfloch, das dieses Ziel noch weiter reduziert, wenn man die „Kohlenstoffsenken“ berücksichtigt. In der Praxis bedeutet dies, dass die Länder nur 52,8% der tatsächlichen Reduktionen erreichen müssen. Der Rest ist Kohlenstoff, der bereits im Ökosystem – zum Beispiel in Wäldern oder Feuchtgebieten – gespeichert ist, ohne dass dies einen positiven Effekt auf die Reduzierung des Kohlenstoffs in der Atmosphäre hat.
Ein Ziel von netto -55% wird zu einer globalen Erwärmung von weit über 2°C bis zum Jahr 2050 führen. Für ein Gesetz, das vorgibt, für den Klimaschutz und für uns in der Grünen/EFA-Fraktion zu sein, ist das einfach inakzeptabel. Zum Vergleich: Ein 65%iges Emissionsminderungsziel (wie das, wofür wir plädiert haben) gibt uns eine Zweidrittel-Chance, die globale Erwärmung im gleichen Zeitraum bei 1,5°C zu halten.
Es ist außerdem viel niedriger als das 60%-Ziel, welches das Europäische Parlament wollte, und es ist weit davon entfernt, die Versprechen des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen. Sogar das deutsche Verfassungsgericht hat gesagt, dass es eine verfassungsrechtliche Pflicht sei, sich an die Temperaturziele des Pariser Abkommens zu halten. Gerichte in den Niederlanden, Belgien und Frankreich sind diesem Beispiel gefolgt.
Trotz der tapferen Versuche des Europäischen Parlaments, während der verbleibenden Verhandlungen einen Kompromiss zu finden, bewegten sich die EU-Regierungen keinen Zentimeter von der Netto-55%-Position weg. Schließlich wollten einige Verhandlungsführer*innen angesichts des nahenden Klimagipfels von US-Präsident Joe Biden lieber einen schnellen als einen guten Abschluss. Nur sehr wenige Elemente der angestrebten Position des Europäischen Parlaments haben es in die endgültige Vereinbarung zum EU-Klimagesetz geschafft.
Was denken die Grünen/EFA nun über die abschließende Einigung zum EU-Klimagesetz?
Dieses Gesetz als einen Sieg für das Klima darzustellen, ist falsch. Dieses EU-Klimagesetz ist zu machtlos, um die Klimakrise zu stoppen. Es ist einfach nicht genug. Etwas anderes zu behaupten, wäre gegen unsere Werte, irreführend für unsere Wähler*innen, unfair gegenüber all den Klimaaktivist*innen, die sich in diesen Kampf gestürzt haben, und ein Verrat an allen zukünftigen Generationen.
Wir sind nicht die einzigen, die damit nicht einverstanden sind. Das europäische Klimaabkommen wurde von Klimaexpert*innen und Umweltgruppen heftig kritisiert, die es als „überstürzt“, „eine Farce“ und „nicht im Einklang mit den Zielen des Pariser Abkommens“ bezeichnet haben. Wir meinen es ernst, wenn wir sagen, dass wir anfangen müssen, auf die Klimawissenschaftler*innen zu hören. Wir werden ihre Stimmen nicht ignorieren.
Wir sind immer noch stolz darauf, dass die Grünen/EFA maßgeblich daran beteiligt waren, das allererste europäische Klimagesetz zu bekommen. Die Schaffung eines unabhängigen wissenschaftlichen EU-Klimabeirats und das Versprechen eines EU-Treibhausgasbudgets für die Zeit nach 2030 waren zwei unserer Hauptforderungen, und wir begrüßen ihre Annahme als Teil des endgültigen Pakets. Sie werden dazu dienen, die Rolle der Wissenschaft in zukünftigen Debatten über EU-Klimamaßnahmen und -Ziele zu stärken.
Ist der Klimaaktivismus jetzt am Ende? Was können wir noch tun, um das Klima zu retten?
Die Abstimmung über das EU-Klimagesetz ist ein Rückschlag, aber jetzt ist nicht die Moment, die Hoffnung zu verlieren. Das zeigt uns, dass wir nicht selbstgefällig sein dürfen. Wir müssen Wahlen nutzen, um die politische Landschaft zu verändern und Menschen an die Macht zu bringen, die eine Klimapolitik machen, die mit dem Pariser Abkommen vereinbar ist. Immer wieder versagen die Konservativen bei ambitionierten Schritten in Richtung Klimaneutralität. Wir müssen ihnen entgegen wirken.
Unterdessen werden unter dem Dach des europäischen Green Deals weitere klimapolitische Maßnahmen diskutiert. Im Juli wird die Europäische Kommission das „Fit for 2030“-Klimapaket, ein Bündel von klimapolitischen Maßnahmen, vorschlagen. Dies ist die Chance für Europa, noch Klima-Champion zu werden. Maßnahmen wie ein Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2030, die Besteuerung von Flugzeugtreibstoff und die Festlegung eines höheren Preises für Kohlenstoff im EU-Emissionshandelssystem könnten die Substanz des europäischen Green Deals bestimmen.
Im November findet in Glasgow der wichtigste Klimagipfel des Jahrzehnts statt: die COP26. Wir werden dort sein und weiter für eine Wirtschaft kämpfen, die bis 2040 vollständig auf erneuerbaren Energien basierende. Wir werden uns dafür einsetzen, dass fossile Brennstoffe im Boden bleiben, und uns für eine vollständige Transformation unserer Industrie-, Transport- und Agrarsysteme stark machen. Wir kämpfen für soziale Gerechtigkeit, für eine grüne Wirtschaft, die hochwertige Arbeitsplätze für Arbeitnehmer*innen bietet, und für einen gerechten Übergang, der niemanden zurücklässt.
Es ist noch Zeit, den Europäischen Green Deal zu retten.
Wir brauchen Ihre Stimme, um für eine ambitionierte EU-Klimagesetzgebung zu kämpfen!
Autor
Mehr Informationen:
Gábor Vágó – Klima-Kampaigner
gabor.vago@ep.europa.eu