Ein Blogbeitrag von den Grünen/EFA-Abgeordneten Henrike Hahn, Damien Carême und Michael Bloss.
Unsere Gesellschaft braucht die Industrie und ihre Produkte. Sie bietet Arbeitsplätze für Millionen von Menschen und stärkt unsere Wirtschaft. Gleichzeitig verbraucht sie aber auch riesige Mengen an Kohle, Öl und Gas sowie Wasser, Rohstoffen, Edelmetallen und chemischen Substanzen, die überall auf der Welt abgebaut werden. Die Industrie ist daher einer der stärksten Verursacher der Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung in Europa.
Die globale Erwärmung hat mittlerweile 1° C überschritten – und mit unseren derzeitigen Gesetzen schlittern wir geradewegs in einen Klimakollaps. Es muss also noch viel passieren. Es hat sich gezeigt, dass Investitionen in Innovation und Effizienz (die häufig von grünen Gesetzen angestoßen werden) sich auszahlen. Durch Emissionsziele und verpflichtende Energieaudits ist es einigen Sektoren gelungen, ihren ökologischen Fußabdruck zu verbessern. Einige europäische Unternehmen sind heute Weltmarktführer im Bereich der nachhaltigen und innovativen Lösungen. Trotzdem gibt es immer noch großen Handlungsbedarf. Die Industrie kann und muss also dazu beitragen, die vereinbarten Klimaziele zu erreichen. Im Gegenzug wird sie von den zahlreichen Chancen profitieren, die grüne Transformation mit sich bringt.
Die Industriestrategie, die Strategie für KMUs (kleine und mittlere Unternehmen) und der Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft, der im März 2020 von der Europäischen Kommission präsentiert wurde, sind erste Signale an die Industrie, die bereits aufzeigen, welche großen Veränderungen mit der ökologischen Transformation auf sie zukommen.
Der Wiederaufbau nach der Covid-19-Krise ist eine riesige Chance, unsere Industrie nachhaltiger, wettbewerbsfähiger und widerstandsfähiger zu machen. Wir haben 6 Schritte herausgearbeitet, wie die EU und die Industrie diese Chance umsetzen können:
1. Vorbild werden
Die Europäische Union muss klare Umwelt,- Sozial-, und Transparenzstandards für industrielle Wertschöpfungsketten setzen. Dadurch können Unternehmen nachvollziehen, welche Investitionen die Umstellung auf eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Wirtschaft erfordert und wie sie die Klimaziele und Klimaneutralität bis 2030 erreichen können. Der Fokus muss dabei auf Ressourcen- und Energieeffizienz, Kreislaufwirtschaft sowie auf der Umstellung auf erneuerbare Energien liegen. Mit ambitionierten Zielen müssen außerdem finanzielle Hilfen einhergehen, um Arbeitsplätze zu sichern und einen gerechten Übergang für alle Arbeitnehmer*innen zu ermöglichen. Ein besonderer Schwerpunkt muss auf der Dekarbonisierung der energieintensiven Sektoren liegen, darunter die Stahl- und Zementindustrie sowie die chemische Industrie. Weiterhin muss besonders der Mittelstand tatkräftig finanziell und durch Beratung auf lokaler Ebene unterstützt werden.
2. Verursacherprinzip
Schon jetzt entstehen in Europa durch die Klimakrise Schäden von jährlich 13 Milliarden Euro. Wenn wir die Bekämpfung der Ursachen von Lärm, Luftverschmutzung und den Verlust von Trinkwasser ernst nehmen, müssen die Verursacher dafür verantwortlich gemacht werden. Die europäische Industrie muss den Preis für die Umweltzerstörung zahlen, die sie verursacht. Deshalb müssen alle Ausnahmen von bestehenden CO2-Bepreisungen auslaufen und das damit verbundene Geld stattdessen grün investiert werden. Das würde auch Unternehmen mit nachhaltigen Geschäftsmodellen helfen, wettbewerbsfähig zu sein und zu wachsen.
3. Ein gerechter Wettbewerb
Unternehmen in Drittstaaten, die ihre Produkte in der Europäischen Union verkaufen, sollten den gleichen Preis für Emissionen zahlen wie Unternehmen in der EU. Wir möchten verhindern, dass Unternehmen ihren Standort von der EU in andere Teile der Welt verlegen und wir wollen Emissionen weltweit reduzieren. Deshalb ist es die Einführung eines an den Außengrenzen wirksamen Ausgleichs-Mechanismus für Emissionen entscheidend auf dem Weg in die ökologische Transformation der europäischen Wirtschaft.
4. Fokus auf die „no regrets“: Energieeffizienz und erneuerbare Energien
Um die Industrie zu dekarbonisieren, müssen wir auf Maßnahmen für höhere Energieeffizienz setzen. Dabei müssen wir Einsparpotenziale finden und Energieverschwendung verhindern. Die Industrie muss ihre Prozesse elektrifizieren und das volle Potenzial der erneuerbaren Energien nutzen. Sonnenenergie ist mittlerweile in den meisten Ländern günstiger als Kohle und Gas. Energieeffizienz und erneuerbare Energien schaffen außerdem zahlreiche neue qualifizierte und lokale Arbeitsplätze. Um die Beschäftigungsmöglichkeiten auszureizen, müssen wir strategisch in eine saubere, heimische Energieindustrie investieren. Durch den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien kann auch die Produktion von nachhaltigem Wasserstoff beschleunigt werden – einem der wichtigsten Energieträger für Industrien, die starke Umweltverschmutzung verursachen und für die eine Umstellung auf erneuerbare Energien bisher nicht durchführbar war.
5. Führende Märkte schaffen
Entscheidend ist auch die Nachfrage von Kundinnen und Kunden nach nachhaltigen Produkten. Wir müssen daher nachhaltige Produkte und Lösungen nicht nur erschwinglicher machen, sondern gleichzeitig auch die öffentliche und die private Nachfrage ankurbeln. Für Konsument*innen muss durch eine Kennzeichnung am Produkt klar ersichtlich sein, wie langlebig das Produkt ist und wie leicht es reparierbar ist. Außerdem müssen die einzelnen Schritte vom Abbau des Rohstoffs bis zur Verarbeitung des Produkts transparenter gemacht werden. Und die öffentliche Hand, die die Nachfrage in einigen Sektoren erheblich beeinflusst, sollte nicht auf das billigste Produkt zurückgreifen, sondern beim Kauf von Produkten und Dienstleistungen auch immer den Faktor Nachhaltigkeit einbeziehen.
6. Faire Förderungen
Um sogenannte „stranded investments“ („verlorene Investitionen“) zu verhindern, ist es wesentlich, dass die Auszahlung öffentlicher Förderungen an Ziele für eine grüne Transformation der Industrie, beispielsweise Klimaneutralität, gebunden wird. Mit der EU-Taxonomie existieren bereits klare Definitionen nachhaltiger Praktiken. Diese sollten als Kompass für alle EU-weiten und nationalen Förderungen dienen – angefangen bei den Wiederaufbau-Maßnahmen nach der Covid-19-Pandemie. Wichtig ist außerdem ein robustes Monitoring für EU-Förderungen, besonders für Gelder, die an große Industrie- oder Infrastrukturprojekte fließen (sogenannte “Important Projects of Common European Interest”/„Wichtige Projekte im Allgemeininteresse”).
Als Mitglieder der Grünen/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament sind wir überzeugt, dass dies der richtige Weg ist, wie wir unsere Luft sauber und unseren Planeten kühl halten und eine wettbewerbsfähige, resiliente und nachhaltige Wirtschaft erreichen können. Es ist Zeit für eine grüne europäische Industrie!