Erasmus geht das Geld aus
Rat zerstört seine eigenen politischen Ziele
Das Europaparlament hat sich heute der kritischen Finanzsituation des Erasmusprogramms gewidmet. Nach Angaben der Kommission zeichnet sich eine Finanzierungslücke von 90 Millionen ab, die im universitären Jahr 2012/2013 zu heftigen Einschnitten bei den Förderstipendien und den Gehältern der Mitarbeiter der nationalen Agenturen führen könnte.
Helga Trüpel, Vizepräsidentin des Kulturausschusses und haushaltspolitische Sprecherin der Grünen/EFA, erklärt dazu:
"Die heutige Debatte hat gezeigt, dass eines der Flagschiffe der EU, das Erasmus-Programm, Gefahr läuft, Schiffbruch zu erleiden. Grund dafür ist die Weigerung des Rates, seine finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Programm einzuhalten. Erasmus droht, wie auch dem Europäischen Sozialfond und anderen wichtigen EU-Programmen, schon im kommenden Haushaltsjahr das Geld auszugehen. Schon heute klafft eine Lücke von 90 Millionen Euro im Etat. Für das akademische Jahr 2012/2013 droht sich der Finanzierungsnotstand noch weiter zu verschärfen. Kürzungen bei den Stipendien und bei den Gehältern des Personals der Agenturen wären die Konsequenzen.
Sehenden Auges steuern die Mitgliedstaaten das Programm in die Misere. Sie selbst sind es, die den Finanzierungsbedarf der EU-Programme auf nationale Ebene ermitteln. Das hält sie aber nicht davon ab, dem Programm bei den jährlichen Haushaltsverhandlungen eine adäquate Finanzierung zu verweigern.
Die Mitgliedstaaten müssen sich Vertragsbruch vorwerfen lassen. Sie hatten dem Programm die entsprechenden Ressourcen zugesichert. Nun verweigern sie schlichtweg, ihren Zusagen nachzukommen. Das untergräbt die Glaubwürdigkeit der EU.
Durch diese unverantwortliche Verweigerungshaltung unterhöhlt der Rat seine eigene Politik. Erasmus gehört zur EU 2020 Strategie, also zu den Politiken, die die Mitgliedstaaten als strategische Schwerpunkte ausgerufen hatten. Erasmus gehört zu den großen Erfolgsgeschichten europäischer Politik, hat ganze Generationen von Studenten wichtige Qualifikationen vermittelt und ihre Identität als Europäer gestärkt. Dies darf nicht durch eine kurzsichtige und egoistische Haushaltspolitik der Mitgliedsstaaten gefährdet werden.
Erasmus ist bei weitem kein Einzelfall. Vergleichbare, zum Teil sogar noch gravierendere Finanzierungslücken, gibt es bei EU-Programmen in den Bereichen Gesundheit, IT, Forschung, Wachstum und Beschäftigung, Regionalpolitik sowie Humanitäre Hilfe.
Bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen muss der Rat seinen unverantwortlichen Kurs beenden und zu einer nachhaltigen Haushaltsführung zurückkehren. Die Forderung von Kommission und Parlament nach einer deutlichen Steigerung bei den Zahlungsermächtigungen von über 6 % ist eine Minimalforderung. Für Erasmus wie auch für die anderen Programme ist diese Finanzspritze überlebenswichtig."