Ohne unsere heimischen Wälder können wir weder unsere Artenvielfalt erhalten noch den Kampf gegen die Klimakrise gewinnen. Doch um unsere Wälder wiederzubeleben und zu schützen, brauchen wir mehr Wissen. Wir müssen kennen, was wir schützen wollen.
Deshalb begrüßen die Grünen/EFA den Vorschlag der Europäischen Kommission für ein Waldbeobachtungsgesetz. Einige Verbesserungen sind nötig, aber am wichtigsten ist, dass die Verhandlungen über das Gesetz jetzt schnell voranschreiten, argumentiert unsere Europaabgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg.
Wälder liefern nicht nur Holz, sondern auch die Luft, die wir atmen
Die meisten unserer Wälder dienen der Holzproduktion. In diesen „Wirtschaftswäldern“ geht es vor allem darum, den Holzertrag zu maximieren. Dadurch verlieren sie ihre Artenvielfalt und ihre Fähigkeit, Kohlenstoff aufzunehmen und langfristig zu speichern. Wir brauchen jedoch unsere Wälder als „Kohlenstoffsenken“, um bis 2050 die Klimaneutralität in Europa zu erreichen.
Auch der Holzertrag leidet, weil die geschwächten Ökosysteme den klimabedingten Belastungen wie Hitze, Stürmen und Dürren nicht standhalten können. Waldbrände, Stürme, Schädlinge und Krankheiten führen dazu, dass immer mehr Bäume absterben, Erträge und Einkommen gehen zurück.
Wir müssen unsere Wälder heilen, so dass sie unsere Artenvielfalt erhalten und unser Klima regulieren können. Vergessen wir nicht, dass unsere Wälder uns auch vor Bodenerosion und Überschwemmungen schützen, Luft und Wasser reinigen, und das Wasser in der Landschaft halten. Gesunde Wälder sind unsere beste Versicherung gegen klimabedingte Extremwetterereignisse wie Hitze und Dürre.
Nur in wenigen Wäldern können natürliche Abläufe ohne Einflussnahme des Menschen ablaufen. Wir nennen sie „Primärwälder“ oder „Altwälder“, wenn sie viele Jahre nicht abgeholzt wurden und einen nahezu urwaldartigen Zustand erreicht haben. Experten schätzen, dass weniger als 3 Prozent unserer Wälder von einer solchen Qualität sind. Doch bis heute wissen wir nicht genau, wo sie sich befinden und wo sie vom Holzeinschlag bedroht sind.
Diese Wälder, in denen die Ökosysteme intakt sind und die Kohlenstoffkreisläufe uneingeschränkt funktionieren, müssen wir dringend schützen.
Wenn Regierungen Daten über unsere Wälder erheben, geht es meistens um die Holzproduktion. Da unsere Wälder bislang weitgehend als „Holzproduktionsflächen“ galten, wurden andere wertvolle „Dienstleistungen“ der Waldökosysteme weitgehend vernachlässigt. So kennen wir die Fläche unserer Wälder, und wir wissen, wie viel Holz sich in ihnen befindet („Holzvorrat“). Wir wissen auch, wie viel Holz geerntet wird und welche Baumarten gepflanzt werden.
Viele dieser Informationen sind in unseren nationalen Waldinventuren enthalten. Diese Erhebungen haben jedoch ihre Grenzen. In Deutschland beispielsweise wird die Bundeswaldinventur nur alle zehn Jahre durchgeführt und basiert auf Stichproben.
Wenig Aufschluss geben uns die bestehenden Erhebungen allerdings über die Artenvielfalt in unseren Wäldern, etwa über die Anzahl alter und seltener Bäume, die Natürlichkeit der Baumartenzusammensetzung oder das Vorkommen weiterer Pflanzenarten. Wenn solche Daten vorhanden sind, sind sie aufgrund verschiedener Methoden und Definitionen nicht unbedingt zwischen den Ländern vergleichbar.
Außerdem müssen die nationalen Datensätze nicht immer öffentlich verfügbar sein. Dies führt zu Situationen, in denen verschiedene Interessengruppen widersprüchliche Datensätze präsentieren und Entscheidungsträger letztlich für sich entscheiden müssen, welchen Informationen sie vertrauen möchten.
NGOs und Wissenschaftler*innen kartieren bereits Wälder mithilfe von Satellitendaten und Expertenbeobachtungen. Gute Beispiele sind Global Forest Watch und die Naturwald Akademie. Metsä, ein großes Unternehmen aus Finnland, entwickelt derzeit ein System zur Überwachung von Sturm- und Insektenschäden, das auf künstlicher Intelligenz basiert.
Der Gesetzesvorschlag sieht vor, dass die Europäische Kommission zusammen mit den Regierungen der EU-Mitgliedsländer Daten über 22 Indikatoren sammeln – vom gesamten Waldgebiet bis hin zur Zusammensetzung und Vielfalt der Baumarten. Die Kommission würde mittels Satellitentechnologie standardisierte und flächendeckende Daten über alle 27 EU-Länder erheben. Ergänzend würden die nationalen Regierungen Daten aus Bodenuntersuchungen beisteuern, die zwischen den Ländern vergleichbar sind. Die Häufigkeit der Datenerhebung würde je nach Indikator zwischen einer Woche und sechs Jahren variieren.
Die Regierungen würden zudem verpflichtet, bis zum 1. Januar 2028 den Standort ihrer Primär- und Urwälder zu kartieren (und zu teilen). Sie müssten auch die in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie definierten Waldlebensräume kartieren. Dies müsste zunächst innerhalb von EU-Schutzgebieten geschehen, dann auch außerhalb. Alle Daten würden in einem maschinenlesbaren Format veröffentlicht.
Darüber hinaus würden die Regierungen ermutigt – aber nicht dazu verpflichtet –, integrierte, langfristige Waldpläne auf der Grundlage einer EU-Vorlage aufzustellen.
Einige Regierungen und mächtige Industrieverbände scheinen besorgt darüber zu sein, was das neue Überwachungssystem offenbaren könnte. Sie wollen weiterhin unsere europäischen Wälder, und sogar Altwälder, kahlschlagen. Es kommt ihnen entgegen, dass die Daten lückenhaft sind und die Abholzung oft unbemerkt bleibt.
So stellten Schwedens und Finnlands Premierminister schon vor der Veröffentlichung des Vorschlags den Mehrwert des Waldgesetzes in Frage. Sie argumentieren, dass es nur die Kosten erhöhen und bestehende Berichtspflichten unnötig doppeln wird.
Dabei ist das Zusammentragen und Veröffentlichen aktueller und detaillierter Walddaten keine Belastung, sondern eine Investition in unsere Zukunft.
Eine EU-weite Waldbeobachtung kann unseren Regierungen, Waldbesitzern, forstbasierten Industrien, Investoren und Versicherern genau die Informationen liefern, die sie brauchen, um ihre Fortschritte bei der Erreichung unserer Klima- und Biodiversitätsziele zu verfolgen. Mehrere EU-Gesetze stützen sich auf solche Daten, darunter die Vorschriften über Emissionen aus Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF) und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie.
Die systematische, EU-weite Waldbeobachtung wird uns sowohl bei der Bewirtschaftung unserer „Wirtschaftswälder“ als auch beim strikten Schutz unserer verbleibenden Ur- und Altwälder unterstützen. Nicht zuletzt wird eine einheitliche Waldbeobachtung auch aufzeigen, wo besonders naturnah gewirtschaftet wird und uns somit helfen, Waldbesitzer für die „Ökosystemleistungen“ zu entschädigen, die uns ihre Wälder über die Holzproduktion hinaus erbringen.
Um unsere übernutzten, geschädigten Wälder zu revitalisieren und unsere verbliebenen Naturwälder effektiv zu schützen, brauchen wir ein gutes Verständnis darüber, was vorhanden ist und was stattdessen vorhanden sein könnte.
Um weitere Schäden an unseren Wäldern abzuwenden, sollten die neuen Überwachungspflichten so schnell wie möglich eingeführt werden. Der Standort der wertvollen Ur- und Altwälder sollte bereits 2025 veröffentlicht werden, wie in den entsprechenden Leitlinien der Kommission vorgesehen. Nicht nur die Kommission und nationale Behörden, sondern auch unabhängige Experten sollten einbezogen werden.
Die EU muss jetzt schnell handeln, um dieses Gesetz zusammen mit dem vorgeschlagenen EU-Gesetz zur Bodenüberwachung fertigzustellen. So können wir die Ziele erreichen, die wir uns in der EU und weltweit bis 2030 gesetzt haben.