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Press release |

Solvency II

Europaparlament stimmt Entlastung der Versicherungswirtschaft um 200 Milliarden Euro zu

Heute hat das Europaparlament im Plenum seine Position zu Solvency II abgestimmt. Bereits im November hatten sich die Verhandlungsführer von Europaparlament, Rat der Mitgliedsländer und EU-Kommission nach jahrelangen Verhandlungen auf die Reform der Europäischen Versicherungsregulierung, Umsetzungsrichtlinie Omnibus II, geeinigt.

Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen und Schattenberichterstatter für Solvency II kommentiert das Abstimmungsergebnis:

“Eine großkoalitionäre Mehrheit hat im Europaparlament heute dafür gesorgt, dass sich die jahrelange Lobbyarbeit für die Versicherungsindustrie gelohnt hat. Die Industrie hat drastisch niedrigere Eigenkapitalanforderungen und damit höhere ausschüttungsfähige Gewinne für langfristige Versicherungsprodukte durchgesetzt. Das Verhandlungsergebnis von Rat und Europaparlament ignoriert die Ratschläge des Europäischen Rats für Systemrisiken (ESRB), die Meinung der vom Parlament angehörten Experten und die diverse Empfehlungen der Versicherungsaufseher von EIOPA.

Das Paket beschert den Versicherern eine Entlastung in einem Umfang von unglaublichen 267 Milliarden Euro. Alleine für die Anbieter von Lebensversicherungen liegt die Entlastung bei 264 Milliarden Euro. Lebensversicherern wird unter Solvency II erlaubt, nur 4,5% ihrer Anlagen als Eigenkapital vorzuhalten.

Versicherungsunternehmen dürfen nun Verluste ignorieren, die aus Finanzkrise oder dem niedrigen Zinsumfeld resultieren. Unternehmen können höhere Dividenden ausschütten, selbst wenn die Marktwerte nahelegen, dass sie ihre Verpflichtungen gegenüber den Versicherten nicht erfüllen werden können. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund schwacher langfristiger Wachstumsprognosen und dem niedrigen Zinsumfeld verantwortungslos unvorsichtig. Einige Versicherungsunternehmen hätten ohne diesen Freibrief für ihre Aktionäre Schwierigkeiten, ihren Verpflichtungen nachkommen. Das große Problem der Assekuranz wird nun zugedeckt statt angegangen, indem sich der Staat anmaßt, den Wert von Vermögen besser zu kennen als der Markt.

Die Vertreter von Großbritannien, Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland haben diesen Deal für ihre jeweiligen Versicherer ausgehandelt. Sowohl in der Position des Rates als auch des Parlaments, ist aus Solvency II eine Wundertüte geworden, die für jeden nationalen Versicherungsmarkt passende Geschenke bereit hält. Viele Regeln des angenommenen Solvency-II-Regelwerkes wurden auf die Versicherungsmärkte der großen Mitgliedsstaaten zugeschnitten. Das ist ein ungeheuerliche Verletzung der Prinzipien des Europäischen Binnenmarktes.

Wir Grünen wissen, dass Finanzmärkte zu Übertreibungen neigen und Finanzprodukte nicht immer angemessen bewerten. Nichtsdestotrotz hat die Versicherungslobby die Gesetzgeber erfolgreich dazu gebracht, dass man die Märkte gefahrlos ignorieren kann. Bei den Banken waren sich die Regulierer einig, dass der Wert von Anlagen an Finanzmärkten sowohl im Wert übertrieben als auch unterbewertet werden kann. Die jetzige Regelung sieht dagegen nur die asymmetrische Möglichkeit einer Unterbewertung vor. Gegen den Ratschlag des Europäischen Rates für Systemrisiken müssen die Versicherungsunternehmen in guten Zeiten keine Rücklagen bilden, um stabiler durch schlechte Zeichen zu kommen.

Wir haben alles getan, um einen ausgewogenen Kompromiss zu erzielen. Dieser sollte nicht zu exzessiv viel Gewicht auf volatile Marktbewertung legen, aber dennoch die Versicherten schützen. Die Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen haben dagegen jetzt ein Paket verabschiedet, das einseitig die Interessen der Versicherungsindustrie berücksichtigt. Sie haben sich damit sowohl gegen den Beschluss ihrer eigenen Mitglieder im Wirtschafts- und Währungsausschuss als auch gegen den Vorschlag der EIOPA gestellt. Die Verhandlungen zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament standen von Anfang an unter keinem guten Stern. Die Lobby hat sich während des gesamten Verhandlungsprozesses dafür eingesetzt, dass die Versicherungsunternehmen die Rückstellungen für die langfristigen Garantien weiter reduzieren können. Der Rat der Mitgliedsländer und der sozialdemokratische Verhandlungsführer Skinner (Labour) waren dabei die engsten Verbündeten der Lobby. Selbstverständlich ist es für die Grünen unmöglich so einem einseitigen Kompromiss zuzustimmen.

Immerhin fand die Forderung der Grünen Gehör, dass Versicherungen zumindest ein Mindestmaß an Transparenz erfüllen müssen. Versicherungen, die die neuen langfristigen Garantiebewertungsmaßnahmen nutzen, müssen die quantitativen Auswirkungen offenlegen. Dadurch kann die Öffentlichkeit nun von den enormen Zugeständnissen an die Versicherungsindustrie erfahren. Ich persönlich werde dafür sorgen, dass alle Unternehmen, die die vereinbarten Privilegien nutzen, auf einer Website an den Pranger gestellt werden. Auf der Website werden auch die betreffenden Marken und die fehlenden Milliarden veröffentlicht. Damit können und müssen nun die Kundinnen und Kunden entscheiden.”

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