Ungarn
Gesetzes- und Verfassungsänderungen in Ungarn sind unvereinbar mit europäischen Werten
Das Europäische Parlament nahm heute einen Bericht des grünen Europa-Abgeordneten Rui Tavares (Portugal) zur Lage der Grundrechte in Ungarn an. Der Bericht stellt fest, dass die Gesetzes- und Verfassungsänderungen in Ungarn unvereinbar sind mit den europäischen Werten, wie sie im Artikel 2 des EU-Vertrages festgelegt sind. Die Europaabgeordneten unterstützten eine Reihe von Empfehlungen an die ungarische Regierung und an die europäischen Institutionen, um die ungarische Gesetzgebung wieder in Einklang mit den europäischen Werten zu bringen (1). Das Europaparlament schlägt auch die Einrichtung einer "Kopenhagen High-Level Group" vor, die für die Überwachung der Einhaltung der gemeinsamen europäischen Werte in den EU-Mitgliedsstaaten zuständig ist.
Nach der Abstimmung erklärte der Berichterstatter Rui Tavares:
"Zum ersten Mal in der Geschichte hat das Europäische Parlament heute erklärt, dass die Gesetzes- und Verfassungsänderungen in einem Mitgliedsstaat unvereinbar sind mit den Werten der EU, wie sie in Artikel 2 des Vertrages zur Europäischen Union festgelegt sind. Die Liste von Gebieten, auf denen Ungarn gegen europäische Werte verstößt, ist lang: die Unabhängigkeit der Datenschutzbehörde, die Unabhängigkeit der Justiz, die Medienvielfalt, Minderheitenrechte und die Rechte der politischen Opposition. Die kürzlich angenommene vierte Verfassungsänderung gibt besonders Anlass zur Sorge, untergräbt sie doch die Rolle des Verfassungsgerichtshofs beträchtlich.
Seit Victor Orbans FIDESZ-Partei bei den Wahlen im Jahr 2010 eine Zweidrittel-Mehrheit im ungarischen Parlament erreichte, kam es zu umfassenden und systematischen verfassungsrechtlichen und institutionellen Reformen, die unvereinbar mit den gemeinsamen europäischen Werten des Artikels 2 des EU-Vertrages sind - Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Gleichheit und Achtung der Menschenrechte, inklusive der Rechte von Menschen, die Minderheiten angehören.
Der Bericht enthält eine klare Liste von über 40 Empfehlungen an die ungarische Regierung und an die Europäische Kommission, den Europäischen Rat und das Europäische Parlament, wie die Achtung der Grundrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit gewährleistet werden soll. Wenn Ungarn die Empfehlungen des Berichts nicht umsetzt, wird das Parlament das Artikel 7(1)-Verfahren aktivieren müssen, um zu prüfen, ob eine eindeutige Gefahr eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die gemeinsamen Werte der Union von Seiten Ungarns vorliegt.
Die Aktionen der Orban-Regierung haben das demokratische System der gegenseitigen Kontrolle ("Check and Balances") ernsthaft geschwächt. Neben zahlreichen Änderungen des Grundgesetzes ist auch der systematische Rückgriff auf sogenannte Kardinalsgesetze (das sind Gesetze, die nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden können) problematisch. Diese Gesetze sind offensichtlich dazu gedacht, die politischen Ansichten einer Partei in Stein zu meißeln.
Das Parlament fordert die Europäische Kommission auf, eine 'Alarm-Agenda für Artikel 2 EUV/Rechtsstaatlichkeit' einzurichten, mit der ein Mitgliedsstaat, bei dem solche Probleme identifiziert wurden, sich ausschließlich auf die demokratischen und rechtsstaatlichen Fragen konzentrieren muss, ehe die EU-Kommission wieder bei den vielen anderen Verhandlungen mit dem Mitgliedsstaat kooperiert. Die Umsetzung sollte von einem permanenten Trilog überprüft werden, in den Kommission, Rat und Parlament Vertreter entsenden.
Ungarn ist aber bei weitem nicht das einzige Land mit beunruhigenden Entwicklungen was die Achtung europäischer Werte angeht. Wir brauchen neue Instrumente, um die Respektierung europäischer Werte in allen EU-Ländern sicherzustellen. Um Mitglied der EU zu werden, müssen die Kandidatenländer die "Kopenhagen-Kriterien" erfüllen. Sind sie jedoch einmal aufgenommen, gibt es keinen Mechanismus, um die Respektierung europäischer Werte zu überprüfen. Wir schlagen daher vor, eine "Kopenhagen High-Level Group" einzurichten, die für die Überwachung der Einhaltung der gemeinsamen europäischen Werte zuständig ist. Die Werte der Europäischen Union sind bewundernswert - auf dem Papier. Es liegt an uns, Bürgerinnen und Bürgern, Volksvertretern und den Institutionen, sicherzustellen, dass diese Werte geschützt und respektiert werden."
Anmerkungen:
(1) Die Grüne/EFA-Fraktion unterstützte auch einen Änderungsantrag, der die sofortige Aktivierung des Artikel 7-Verfahrens des EU-Vertrages forderte, und folgte damit ihrer Linie von Beginn der Debatte an. Der Ausschuss sprach sich schließlich dafür aus, dass die Konferenz der Fraktionsvorsitzenden des Europäischen Parlaments über die Aktivierung des Artikel 7-Verfahrens entscheiden soll, falls die Empfehlungen nicht zufriedenstellend umgesetzt werden.