Arbeitsorte des EP
Klare Mehrheit gegen den Reisezirkus und für stärkere Rechte des Parlaments im Namen der Bürger
Die monatliche Pendelei zwischen Brüssel und Straßburg erschwert die Arbeit des Europäischen Parlaments, schwächt seine Rolle gegenüber den anderen EU-Institutionen und belastet unnötigerweise Umwelt und Steuerzahler. Ein Bericht, der erstmals einen praktikablen Lösungsweg für diese politisch heikle Frage aufzeigt, wurde heute im Verfassungsausschuss mit überwältigender Mehrheit, über Fraktions- und Landesgrenzen hinweg, angenommen. Dazu erklärt der Berichterstatter Gerald Häfner, verfassungspolitischer Sprecher der grünen Fraktion:
„Die heutige Abstimmung ist ein Durchbruch. Sie bringt endlich Bewegung in eine Situation, die bei den Bürgern immer wieder für Unverständnis und Ärger über die EU sorgt. Seit vielen Jahren kritisieren wir, wie sinnlos, umweltschädlich und verschwenderisch das monatliche Hin- und Herreisen sowie der parallele Betrieb zweier voll ausgebauter Parlamentsgebäude sind. Doch alle Versuche, daran etwas zu ändern, sind bislang immer am französischen Veto gescheitert.
Um diese Blockade zu überwinden, gehen wir nun erstmals einen neuen, weit selbstbewussteren und zielführenderen Weg. Mit der Zustimmung zu meinem Bericht verlangt das Europäische Parlament, selbst über seine Organisation, seinen Kalender und seinen Arbeitsort entscheiden zu können. Hierfür wollen wir die europäischen Verträge ändern.
Diese Änderung ist überfällig. Sie ist zugleich ein Schritt zu mehr parlamentarischer Normalität und zu mehr Demokratie in Europa. Das Parlament ist die direkte Vertretung von 500 Millionen Bürgern und nicht eine den Regierungen untergeordnete Behörde. Es kann dem Vertrauen der Bürger und seinem politischen Gewicht nur gerecht werden, wenn es sich nicht vom Rat an kurzer Leine führen und gegen seinen Willen zu aufwendigen Reisen zwingen lässt.
Ich freue mich sehr, dass der Verfassungsausschuss sich heute mit seinem starken Votum eindeutig meinem Standpunkt angeschlossen hat. Ich erwarte, dass das Plenum im November mindestens genauso deutlich das Recht für sich einfordern wird, in dieser Frage selbst entscheiden zu können. Das wäre ein klarer politischer Auftrag, dem sich die Mitgliedstaaten kaum verschließen werden können.“
Pressekonferenz, am morgigen Dienstag, 15. Oktober 2013 - 10.30, Raum ASP 5G2, Europäisches Parlament, Brüssel
Hintergrund:
• Der heute im Ausschuss beschlossene Bericht thematisiert die Geschichte, Probleme und Auswirkungen der dem EP seit Jahrzehnten durch die Verträge aufgezwungene Pendelei zwischen verschiedenen Sitz- und Arbeitsorten
• Alle Versuche, daran etwas zu ändern, scheiterten bisher an der vertragsrechtlichen Situation und dem Widerstand Frankreichs und Luxemburgs.
• Der Sitz aller EU-Institutionen ist in Artikel 341 des EU-Vertrages sowie im Protokoll Nr. 6 (von 1992) festgeschrieben: Das Europäische Parlament hat seinen offiziellen Sitz in Straßburg, wo 12 Plenartagungen im Jahr stattfinden. Zusätzliche Plenartagungen und alle Ausschusssitzungen finden in Brüssel statt. Das Sekretariat sitzt in Luxemburg.
• Der Lissabonvertrag erlaubt es dem Europäischen Parlament, mit eigenen Vorschlägen ein Verfahren zur Änderung der Verträge einzuleiten.
• In keinem Land der Welt sind die beiden gesetzgebenden Kammern räumlich so weit voneinander entfernt. Im Falle der EU liegen die Sitze von Rat und Parlament 435 km auseinander. Im Vergleich dazu sind die Distanzen in den Mitgliedsstaaten minimal, z.B. 2,2 km in Frankreich oder 1,5 km in Deutschland. In einer ganzen Reihe von Mitgliedsstaaten (Großbritannien, Niederlande, Belgien) sind beide Kammern sogar im selben Gebäude untergebracht.
• Die Kosten des monatlichen Hin und Her zwischen den zwei Arbeitsorten schätzt der Haushaltsausschuss des EP auf 156-204 Millionen Euro.
• Die Staats- und Regierungschefs der EU halten ihre Gipfeltreffen mittlerweile nicht mehr im Land der rotierenden Ratspräsidentschaft, sondern ausschließlich in Brüssel ab – blockieren aber eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Parlaments.
• Während der Plenarsitzungen in Straßburg ist das Parlament nicht nur von EU-Kommission und Rat isoliert, sondern auch von der Zivilgesellschaft, den Vertretungen der Mitgliedsstaaten und den Hunderten von Journalisten, die alle in Brüssel sind.
• 78 % aller Dienstreisen der Mitarbeiter des Parlaments finden zwischen den drei Arbeitsorten statt.
• Die Räumlichkeiten in Straßburg werden nur an 42 Tagen im Jahr benutzt – stehen also 89% des Jahres leer.
Mit dem heute beschlossenen Bericht verpflichtet sich das EP, einen Europäischen Konvent zu fordern, der entsprechende Änderungen der Europäischen Verträge vorschlägt und dem Parlament das Recht einräumt, künftig über alle Fragen seiner Selbstorganisation, seiner Arbeitsweise, seines Sitzes und Arbeitsortes sowie seines Kalenders selbst zu entscheiden.