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Presse­mitteilung |

EU-Versicherungsregulierung

Einigung zu Solvency II: Versicherungslobby feiert Orgie auf Kosten der Versicherten

Gestern Nacht haben sich die Verhandlungsführer von Europaparlament, Rat der Mitgliedsländer und EU-Kommission nach jahrelangen Verhandlungen auf die Reform der Europäischen Versicherungsregulierung (Umsetzungsrichtlinie Omnibus II) geeinigt.

Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen und Schattenberichterstatter für Solvency II, erklärt:

"Die jahrelange Lobbyarbeit hat sich für die Versicherungsindustrie gelohnt. Die Industrie hat drastisch niedrige Eigenkapitalanforderungen und damit höhere ausschüttungsfähige Gewinne für langfristige Versicherungsprodukte durchgesetzt. In der Einigung zwischen Rat und Europäischen Parlament werden die Ratschläge des Europäischen Rats für Systemrisiken (ESRB), die Meinung der vom Parlament angehörten Experten und die Fachkompetenz der europäischen Versicherungsaufseher (EIOPA) ignoriert.

Das Paket beschert den Versicherern eine Entlastung in einem Umfang von unglaublichen 277 Milliarden Euro. Alleine für die Anbieter von Lebensversicherungen liegt die Entlastung bei 264 Milliarden Euro.

Lebensversicherern wird unter Solvency II erlaubt, nur 4,5 % ihrer Anlagen als Eigenkapital vorzuhalten. In anderen Worten: sollte der Wert der Anlagen dauerhaft um gerade einmal 4,5 % sinken, sind die Lebensversicherungsunternehmen nicht mehr in der Lage, den Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden nachzukommen.

Versicherungsunternehmen dürfen nun Verluste ignorieren, die aus der Finanzkrise oder dem niedrigen Zinsumfeld resultieren. Unternehmen können höhere Dividenden ausschütten, selbst wenn die Marktwerte nahelegen, dass ihre Verpflichtungen gegenüber den Versicherten nicht erfüllt werden können. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund schwacher langfristiger Wachstumsprognosen und dem niedrigen Zinsumfeld verantwortungslos unvorsichtig. Die Versicherungsunternehmen hätten ohne diesen Freibrief für ihre Aktionäre Schwierigkeiten, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Das große Problem der Assekuranz wird nun zugedeckt statt angegangen, indem sich der Staat anmaßt, den Wert von Vermögen besser zu kennen als der Markt.

Die Vertreter von Großbritannien, Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland haben diesen Deal für ihre jeweiligen Versicherer ausgehandelt. Sowohl in der Position des Rates als auch des Parlaments ist aus Solvency II eine Wundertüte geworden, die für jeden nationalen Versicherungsmarkt passende Geschenke bereithält. Viele Regeln des angenommenen Solvency-II-Regelwerkes wurden auf die Versicherungsmärkte der großen Mitgliedsstaaten zugeschnitten. Das ist eine ungeheuerliche Verletzung der Prinzipien des Europäischen Binnenmarktes.

Wir Grünen wissen, dass Finanzmärkte zu Übertreibungen neigen und Finanzprodukte nicht immer angemessen bewerten. Nichtsdestotrotz hat die Versicherungslobby die Gesetzgeber erfolgreich dazu gebracht, Märkte gefahrlos zu ignorieren. Bei den Banken waren sich die Regulierer einig, dass der Wert von Anlagen an Finanzmärkten sowohl im Wert übertrieben als auch unterbewertet werden kann. Die gestrige Einigung sieht dagegen nur die asymmetrische  Möglichkeit einer Unterbewertung vor. Gegen den Ratschlag des Europäischen Rates für Systemrisiken müssen die Versicherungsunternehmen in guten Zeiten keine Rücklagen bilden, um stabiler durch schlechte Zeichen zu kommen.

Wir haben alles getan, um einen ausgewogenen Kompromiss zu erzielen. Dieser sollte nicht übermäßiges Gewicht auf volatile Marktbewertung legen, aber dennoch die Versicherten schützen. Die Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen haben dagegen jetzt ein Paket verabschiedet, das die Interessen der Versicherungsindustrie einseitig berücksichtigt. Sie haben sich damit sowohl gegen den Beschluss ihrer eigenen Mitglieder im Wirtschafts- und Währungsausschuss als auch gegen den Vorschlag der EIOPA gestellt. Die Verhandlungen zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament standen von Anfang an unter keinem guten Stern. Die Lobbyisten haben sich während des gesamten Verhandlungsprozesses dafür eingesetzt, dass die Versicherungsunternehmen die Rückstellungen für die langfristigen Garantien weiter reduzieren können. Der Rat der Mitgliedsländer und der sozialdemokratische Verhandlungsführer Peter Skinner (Labour) waren dabei die engsten Verbündeten der Lobbyisten. Selbstverständlich ist es für die Grünen unmöglich, so einem einseitigen Kompromiss zuzustimmen.

Immerhin fand die Forderung der Grünen Gehör, dass EIOPA die Vorschläge beider Seiten zu bewerten habe. Dadurch kann die Öffentlichkeit nun von den enormen Zugeständnissen an die Versicherungsindustrie erfahren.

Auf der Zielgeraden der Verhandlungen hat das Europaparlament auch auf grünes Drängen sichergestellt, dass Versicherungen zumindest ein Mindestmaß an Transparenz erfüllen müssen. Versicherungen, die die neuen, langfristigen Garantiebewertungsmaßnahmen nutzen, müssen die quantitativen Auswirkungen offenlegen. Ich persönlich werde dafür sorgen, dass alle Unternehmen, die die vereinbarten Privilegien nutzen, auf einer Webseite an den Pranger gestellt werden. Auf der Webseite werden auch die betreffenden Marken und die fehlenden Milliarden veröffentlicht."  

Weitere Informationen: 

Detailliertere Bewertungen der Einigung von gestern und eine Einführung in die Versicherungsregulierung in der EU gibt es hier: http://www.sven-giegold.de/2013/solvency-ii-insurance-lobby-celebrate-a-landslide-victory-over-consumer-protection/ 

Hier finden Sie die Berechnungen der Europäischen Versicherungsaufsicht (EIOPA) zu den Auswirkungen der Ratsvorschläge: http://www.sven-giegold.de/wp-content/uploads/2013/11/LTGA-information-note.pdf

Eine grüne Bewertung des EIOPA-Berichts finden Sie hier: http://www.sven-giegold.de/2013/green-guide-to-the-information-note-of-eiopa/ 

Die Grünen-Pressemitteilung zur Parlamentsposition, die im März 2012 abgestimmt wurde, finden Sie unter nachfolgendem Link: http://www.sven-giegold.de/2012/solvency-ii-omnibus-ii-lobby-festival-in-the-european-parliament/

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