Europäisches Semester
EU-Kommission sendet Serie von Ohrfeigen wegen Reformverweigerung nach Berlin
Im Rahmen des Europäischen Semesters (1) hat die Kommission heute ihre Bewertung der mitgliedsstaatlichen Stabilitäts- und Konvergenzprogramme sowie der Reformprogramme vorgestellt. Zudem hat die Kommission erstmals gründliche Analysen zu den makroökonomischen Ungleichgewichten von 12 Mitgliedsländern vorgelegt.
Die Ergebnisse für Deutschland (2) kommentiert Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament:
"In ihrer Bewertung des deutschen Reformprogramms verteilt die Kommission reichlich Ohrfeigen an die Bundesregierung für deren halbherzige Reformbemühungen. Es ist peinlich, dass die Empfehlungen der EU-Kommission für die zweite Reformperiode des Europäischen Semesters mit denen der ersten Reformperiode weitgehend identisch sind. Wenn alle Mitgliedsländer so unverantwortlich handeln, ist es um die Zukunft der Eurozone schlecht bestellt.
In Bezug auf die Entwicklung der Landesbanken attestiert die Kommission der Bundesregierung eine fehlende langfristige Vorstellung ihres Geschäftsmodells.
Noch verheerender fällt die Beurteilung der Maßnahmen für verbesserten Zugang zum Arbeitsmarkt und Abgabenbelastung für Arbeitnehmer aus. Die Kommission fordert von der Bundesregierung ein "ambitionierteres" Vorgehen beim Abbau von steuerlichen Hindernissen durch das Ehegattensplitting. Auch erachtet die EU-Behörde die Effektivität der bisherigen steuerlichen Reformen als gering und kritisiert die weiterhin hohe Abgabenbelastung vor allem für Niedrigverdiener.
Im Bereich Forschung und Bildung nimmt die Kommission die im Rahmen des Euro-Plus-Paktes verkündeten Reformen ins Visier. Die Behörde kritisiert, dass die Bundesregierung diese Maßnahmen mehrheitlich bereits zuvor geplant und dann als Maßnahmen des Euro-Plus-Paktes verkauft hat. Die Kommission kommt deshalb zum Entschluss, dass diese Maßnahmen nicht als Reformbeiträge betrachtet werden können.
Zudem attestiert sie der Bundesregierung nur langsame Fortschritte beim Ausbau der Kinderbetreuung. Auch bei der Chancenungerechtigkeit im deutschen Bildungssystem legt die Kommission den Finger in die Wunde.
In Bezug auf Leistungsbilanzüberschüsse hat sich die intensive Lobbyarbeit der Bundesregierung wohl gelohnt. So taucht Deutschland nicht in der Liste von Problemfällen mit wirtschaftlichen Ungleichgewichten auf. Dort werden nur Mitgliedsstaaten wie Spanien genannt, die ein Defizit aufweisen. Damit hat sich die Bundesregierung mit ihrer Ansicht bei der Kommission Gehör verschafft, dass Überschüsse weniger schädlich seien als Defizite. Hohe Überschüsse sind jedoch nur möglich, wenn woanders in selber Höhe Schulden gemacht werden. Die Überschussländer trifft insofern eine Mitverantwortung an der verheerenden Situation der Defizitländer. Sie stehen deshalb genauso in der Pflicht, dem Auseinanderdriften der europäischen Volkswirtschaften entgegenzusteuern. Mangelnde Entwicklung der Binnennachfrage in Überschussländern sollte folglich ebenfalls gerügt werden. Nur so lässt sich die Stabilität der Eurozone sicherstellen. Vor diesem Hintergrund mag die fehlende Kritik an Deutschland zwar die Bundesregierung beruhigen, der Stabilität der Eurozone hilft sie jedoch nicht.
Die Bundesregierung steht nun in der Pflicht, endlich die vom Rat in 2011 beschlossenen Reformempfehlungen umzusetzen. Keinesfalls darf sie nun im Rat politischen Druck ausüben, um den Beschluss der Empfehlungen der EU-Kommission durch den Rat zu verwässern."
Anmerkungen:
1) Hintergrund zum europäischen Semester: http://www.sven-giegold.de/?p=7919
2) Entscheidende Auszüge aus den Empfehlungen finden Sie hier: http://is.gd/6qkTSX