Überall in Europa werden neue Nachtzugverbindungen eingerichtet. Wir leben in einem neuen Zeitalter des Nachtzugs – und 2023 wird ein entscheidendes Jahr. Aber warum sind Nachtzüge so wichtig für die europäische Mobilitätswende? Wie können wir Nachtzüge für alle zugänglicher machen? Und wie kannst Du deine nächste Nachtzugreise buchen? Unsere Praktikantin Louisa Von Essen hat sich mit der Grünen/EFA-Europaabgeordneten und Nachtzugbegeisterten Anna Deparnay-Grunenberg zusammengesetzt, um das darüber zu sprechen
Reisen wir ab 2023 also nur noch klimafreundlich?
Louisa Von Essen im Gespräch mit der Grünen/EFA Europaabgeordneten und Nachtzugfan Anna Deparnay-Grunenberg.
Warum mit dem Nachtzug reisen?
Die Möglichkeit, die Welt zu bereisen, ist eine der größten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Günstige und leicht zugängliche Verkehrsmittel haben Menschen aus verschiedenen Ländern zusammengebracht, Freundschaften über große Entfernungen hinweg ermöglicht und uns geholfen, unseren kulturellen Horizont zu erweitern.
Als Europäer sind viele von uns auf Autos, Züge und Flugzeuge angewiesen, um Freunde und Familie im Ausland zu besuchen oder einen Sommerurlaub in der Sonne zu verbringen. Aber der Klimawandel bedeutet auch, dass wir die Art, wie wir reisen, ändern müssen. Wir brauchen also einen Weg, um nachhaltig durch Europa zu reisen, ohne Ökosysteme, Menschen und Natur zu gefährden. Schließlich ist es das, was das Reisen wirklich lohnenswert macht!
Nachtzüge könnten uns dabei helfen. Und die gute Nachricht ist, dass wir gerade eine Renaissance der Nachtzüge erleben. Überall in der EU entstehen neue Nachtzugverbindungen. Zurzeit gibt es über 200 Nachtzugverbindungen in Europa und wir arbeiten daran, dass es noch mehr werden. Einige Nachtzüge verkehren innerhalb von Ländern. So kannst Du zum Beispiel deine Reise in Mailand in Norditalien beginnen und am Strand von Sizilien aufwachen. Andere Nachtzüge führen dich durch mehrere Länder, wie die Verbindung zwischen Wien und Bukarest über Budapest.
Um die Planung deiner nächsten Reise zu erleichtern, haben die Grünen/EFA-Europaabgeordneten Anna Deparnay-Grunenberg und Daniel Freund diese Karte des europäischen Nachtzugnetzes entwickelt.
Was macht Nachtzüge zu einer so tollen Art zu reisen?
Nachtzüge sind die nachhaltigste Art des Reisens in Europa. Sie sparen dir Zeit (Du reist im Schlaf!) und Geld für die Unterkunft. Sie sind nicht nur ein Transportmittel, sondern auch eine Herberge oder ein Hotel auf Schienen. Je nach Budget kannst Du zwischen verschiedenen Betten wählen und wachst am Morgen ausgeruht an deinem Zielort auf, um den Tag zu beginnen.
Und Nachtzüge helfen uns, die Umwelt zu schützen. Eine Reise mit dem Nachtzug verursacht etwa 30 Mal weniger Emissionen als eine Reise mit dem Flugzeug. Back-on-track.eu schätzt, dass Nachtzüge viele der innereuropäischen Flüge bis zu einer Entfernung von 3000 km ersetzen könnten. Um die Klimaauswirkungen deiner Reise zu vergleichen, kannst Du das UIC EcoPassenger-Tool nutzen.
Anna, welche Nachtzugverbindung nutzt Du am häufigsten?
“Eindeutig die von Basel nach Berlin. Ich wohne in Baden-Württemberg und muss regelmäßig zu Treffen mit meiner Landespartei nach Berlin fahren. Deshalb ist der Nachtzug vom Süden Deutschlands in unsere Hauptstadt für mich sehr praktisch. Meine Tage sind sehr ausgefüllt, also kann ich viel Zeit sparen, wenn ich im Schlaf reise!”
Die Grünen/EFA Europaabgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg
Besuche Anna’s Website für die digitale Version der Nachtzugkarte.
Warum ist das Reisen mit dem Nachtzug gut für das Klima?
Um das 1,5°C-Ziel des internationalen Klimaabkommens von Paris einzuhalten, muss die EU bis 2050 90 % der Emissionen im Verkehrssektor reduzieren. Doch der Verkehrssektor schafft das noch nicht. Tatsächlich steigen die Verkehrsemissionen in Europa weiter an.
Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur machen Züge nur 0,4 % dieser Emissionen aus. Die größten Verursacher der Emissionen sind der Straßenverkehr mit 76,7 %, Schiffe mit 15,3 % und Flugzeuge mit 7,1 %. Flugzeuge haben nicht nur wegen der erhöhten Emissionen, sondern auch wegen der sogenannten Nicht-CO2-Emissionen auch einen erheblichen Einfluss auf die Erderwärmung.
Um den Nachtzug zum beliebtesten Verkehrsmittel in Europa zu machen, muss jedoch noch viel getan werden. Eines der Hauptprobleme ist, dass nicht alle EuropäerInnen sich Nachtzüge leisten können.
Warum sind Nachtzüge so teuer?
Um zu verstehen, warum Nachtzug Tickets manchmal so teuer sind, müssen wir verstehen, warum das Reisen mit dem Flugzeug oder dem Autos vergleichsweise günstig sind. Es gibt einfach keine gleichen Wettbewerbsbedingungen für Züge, Autos und Flugzeuge.
Zum Beispiel müssen die Zuganbieter für die Nutzung der Gleise, die sie benutzen, Gebühren zahlen, die bei Nachtzügen etwa 20-30% des Preises ausmachen können. Für Autos gibt es jedoch keine EU-weit verbindliche Maut.
Außerdem spiegeln sich die Kosten und Schäden, die Autos und Flugzeuge der Umwelt und unserer Gesundheit zufügen, nicht in den Preisen für die verwendeten Kraftstoffe wider (z. B. Kerosin in Flugzeugen). Im Gegensatz dazu müssen die Bahnbetreibende – einige von ihnen sind Meister der erneuerbaren Energien – mit sehr hohen Energiekosten arbeiten.
Durch dieses ungerechte Ungleichgewicht ist die Fahrt mit dem Auto oder dem Flugzeug viel billiger als die Fahrt mit dem Zug, obwohl viel mehr Ressourcen und Geld verschwendet werden. Um das Reisen mit dem Nachtzug für alle erschwinglich zu machen, müssen wir die Wettbewerbsbedingungen angleichen. Wir müssen Zugreisen subventionieren und die Umweltschäden von Autos und Flugzeugen in die Treibstoffpreise miteinbeziehen.
Wie können wir die Zahl der Nachtzugverbindungen erhöhen?
Momentan sind die Kosten, um ein neues Zugnetzwerk zu betreiben, noch ein großes Hindernis. Nicht nur, weil Autos und Flugzeuge einen unfairen Vorteil gegenüber Nachtzügen haben, sondern auch, weil der Betrieb eines Nachtzugs teuer ist. Sie können nur nachts verkehren und weniger Fahrgäste mitnehmen als ein normaler Zug.
Die Angst vor höheren Kosten hat die großen und finanzstarken Bahnbetreiber davon abgehalten, sich für die Wiedereinführung von Nachtzügen einzusetzen. Stattdessen betreiben kleine Initiativen und private Betreiber einzelne Strecken. Für eine groß angelegte Einführung fehlen ihnen jedoch die Mittel.
Infrastruktur- und Nachtzugbetreibern sollte finanzielle Unterstützung gewährt werden. Die Renaissance des Nachtzugs braucht eine ordentliche Starthilfe!
Außerdem besteht ein akuter Mangel an Schlaf- und Liegewagen (dem sogenannten rollenden Material). Die Hersteller von Nachtzügen kämpfen mit einer unsicheren Nachfrage und unklaren Planungshorizonten.
Auch unterschiedliche nationale Vorschriften und technische Standards für Züge in den EU-Ländern sind ein weiteres Hindernis.
Die EU muss sich voll und ganz für den Wiederaufbau ihres Nachtzugnetzes einsetzen und dabei auch finanzielle Unterstützung anbieten. Das würde die Sicherheit für den europäischen Markt erhöhen und das Zeitalter des Nachtzugs einläuten!
Anna, welche Nachtzugverbindung fehlt noch in Europa?
“Persönlich würde ich mir einen Nachtzug von Süddeutschland nach Spanien wünschen. Der Grund: Mein Vater wohnt jetzt in San Sebastian, im Norden Spaniens. Im Moment würden wir fast zwei Tage und vier Züge brauchen, um mit der Bahn dorthin zu fahren. Es wäre fantastisch, wenn wir eine direkte Nachtzugverbindung zwischen Stuttgart und San Sebastian hätten! Auf diese Weise könnten meine Kinder ihren Großvater öfter besuchen – das wäre wirklich schön!”
Die Grünen/EFA Europaabgeordnete Anna Deparnay-Grunenberg
Wie kann ich einen Nachtzug buchen?
Um ehrlich zu sein, ist die Buchung einer Nachtzugverbindung immer noch sehr kompliziert.
Es gibt keine Webseite, die alle Fahrpläne und verfügbaren Nachtzüge zusammenfasst. Stattdessen musst Du deinen Nachtzug auf verschiedenen Seiten buchen, die die Verbindung anbieten. Das kann dazu führen, dass Du verschiedene Einzelfahrkarten buchen musst.
Deshalb setzen wir uns als Grüne/EFA im Europäischen Parlament für eine einzige, umfassende europäische Buchungsplattform ein, die Verbraucherinnen und Verbraucher dazu ermutigt, Nachtzüge zu nutzen und alle möglichen Verbindungen auflistet.
In der Zwischenzeit findest Du hier ein paar Tipps, damit dein Nachtzug-Erlebnis reibungslos verläuft. Um einen Überblick über die verfügbaren Nachtzüge in Europa zu bekommen, schau dir unsere neu aktualisierte Nachtzugkarte an.
1. Um nach bestimmten Verbindungen zu suchen, kannst Du Websites wie seat61.com, nachtzug-urlaub und rail.cc nutzen
2.
Die Buchung eines Nachtzugs ist oft am einfachsten bei dem jeweiligen Betreiber. Auf der aktualisierten Nachtzugkarte findet ihr alle notwendigen Details inklusive des Links zur Buchungsplattform. Auch auf der gedruckten Version findet ihr diese Infos – hier könnt ihr die Karte kostenlos bestellen.
3. Wenn Du einen Anschlusszug verpasst hast, kannst Du manchmal einfach den nächsten Zug nehmen: “Hop on the next available train” oder HOTNAT
Ein Bonus für alle Interrail-Fans da draußen: Viele Nachtzugverbindungen sind in deinem Ticket enthalten. Du musst nur deine bevorzugte Schlafgelegenheit reservieren und bezahlen.
Was macht das Jahr 2023 zum Jahr des Nachtzugs?
Während 2021 das offizielle Europäische Jahr der Schiene war – und es war ein wichtiges Jahr für Nachtzüge – zeichnet sich 2023 als das Jahr ab, in dem Nachtzüge ihr großes Comeback feiern. Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament sind unseren grünen Forderungen gefolgt und haben die entscheidende Rolle der Nachtzüge für die grüne Verkehrsrevolution klar erkannt.
Erst kürzlich hat die Europäische Kommission ihre Unterstützung für zehn Nachtzug Projekte in ganz Europa angekündigt, darunter eine Nachtzugverbindung von Amsterdam nach Barcelona.
Hier sind einige neue Nachtzugverbindungen, auf die Du dich im Jahr 2023 freuen kannst:
- 31. März – Eine neue Nachtzugverbindung zwischen Berlin und Stockholm wird eröffnet.
- 25. Mai – Der neue Open-Access-Zugbetreiber European Sleeper eröffnet eine neue Nachtzugverbindung, die Brüssel, Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam mit Berlin (und ab 2024 mit Dresden und Prag) verbindet.
- 11. Dezember – Der ÖBB Nightjet stellt den “Metropol X” fertig, der täglich NachtzugverbinDungen zwischen den Städten Paris, Berlin, Brüssel und Wien anbietet
Anna, was ist deine schönste Nachtzug-Erinnerung?
“Vor einigen Jahren bin ich mit dem Nachtzug von London nach Inverness in Nordschottland gefahren. Ich reiste mit meinem Mann. Das war in einer Zeit, in der es für uns beide etwas ganz Besonderes war, gemeinsam Urlaub zu machen. Also beschlossen wir, ein Nachtzugabteil zu buchen, und wir hatten eine wunderschöne Reise im sogenannten “Caledonian Night Sleeper”. Das ist ein schottischer Zug mit verschiedenen “Zimmern” – einige haben nur die Grundausstattung und andere sind ziemlich luxuriös! Außerdem gibt es einen “Lounge”-Wagen mit einer Bar und der Möglichkeit, morgens zu frühstücken. Wir haben beide gut geschlafen und kamen ganz entspannt im Norden Schottlands an. Wir nutzten unsere Zeit in Schottland, um die schöne Öko-Gemeinde Findhorn zu besuchen, bevor wir nach Hause zurückkehrten.”
Wie können wir Nachtzüge in Europa noch besser machen?
Unsere 5 Forderungen der Grünen/EFA für mehr Nachtzüge in Europa:
- Ausweitung des Nachtzugnetzes: Wir wollen, dass mehr Haltestellen und Strecken mit Nachtzügen erreichbar sind.
- Einfache Buchung: Nachtzugreisen müssen so einfach werden wie das Fliegen. Wir wollen eine einheitliche Buchungsplattform, mit der Nachtzüge einfach online gebucht werden können!
- Erschwingliche Preise: 20 bis 30 Prozent der Kosten für Nachtzüge werden durch Trassenpreise, also die Nutzung der Schiene, verursacht. Diese Kosten müssen gesenkt werden, ebenso wie die Steuer auf Zugfahrten und die Ticketpreise.
- Fairer Wettbewerb zwischen Flugzeug und Bahn: Wir können nicht zulassen, dass die Fluggesellschaften weiterhin von der Umweltverschmutzung profitieren. Wir brauchen eine Kerosinsteuer für Flüge!
- Ein echtes Engagement für die Zukunft des Zugverkehrs: Wir brauchen ein gut abgestimmtes europäisches Nachtzugkonzept und klare Investitionen in das Schienennetz.