Land ist keine Ware!
Europa-Parlament fordert: Zugang zu Land für Bauernhöfe statt für Großkonzerne
Lange war „Landgrabbing“, also der großflächige Aufkauf von Land zur Geldanlage und industriellen Agrarproduktion, nur als Problem von Entwicklungsländern bekannt. Doch auch in Europa entdecken Privatpersonen und Großinvestoren das Ackerland als sichere Kapitalanlage. Aktuell verfügen nur 3% der Höfe über 52% des Ackerlands, und 80% der GAP-Subventionen gehen an nur 20% der Betriebe. Damit ist die Lage in Europa ähnlich ungerecht wie in Brasilien, Kolumbien oder den Philippinen, die für ihre notorisch ungerechte Landverteilung bekannt sind. Für die ländlichen Regionen hat das fatale Auswirkungen: Für bestehende bäuerliche Betriebe oder ExistenzgründerInnen ist es kaum noch möglich, zu fairen Preisen Land zu erwerben oder zu pachten. Stattdessen breiten sich die neuen Feudalherren aus, deren Geschäftsmodell auf drei S basiert: Spekulation, Subventionen und Steuervermeidung.
Europäisches Parlament läutet die Alarmglocke
Das Europäische Parlament will hier nicht länger zuschauen. Heute, am 26. April 2017, hat das Haus mit breiter Mehrheit den Initiativbericht „Aktueller Stand der Konzentration von Agrarland in der EU“ verabschiedet und sich damit erstmals zum Problem des Landgrabbings in Europa geäußert. Das Parlament zeichnet ein alarmierendes Bild und appelliert sowohl an die EU-Kommission als auch an die Regierungen der Mitgliedstaaten, der weiteren Konzentration der Agrarflächen Europas Einhalt zu gebieten. Kleine Betriebe sollen vor Agrarkonzernen und Bodenspekulanten geschützt werden, etwa durch verpflichtende Obergrenzen für Direktzahlungen pro Nutznießer (und nicht nur pro Tochterunternehmen), mehr Gelder für die ersten Hektare, Einstiegserleichterungen für Neugründungen, Transparenz der Eigentumsverhältnisse, Monitoring der Preise und des Zustands des Bodens durch eine Europäische Beobachtungsstelle.
„Wer die Frage nach der Verteilung von Land stellt, stellt auch die Frage nach der gesellschaftlich erwünschten Form der Landwirtschaft,“ sagt die Abgeordnete Maria Heubuch, die den Bericht für die Grünen/EFA betreut hat. „Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Die Konzentration von Land in den Händen weniger Konzerne ist Gift für die ländlichen Regionen. Arbeitsplätze werden wegrationalisiert, die Wertschöpfung sinkt, und der Bezug zum täglichen Essen und das Vertrauen in die Landwirtschaft gehen verloren.“
Das Beispiel von Boynitsa, einem Dorf in Bulgarien, illustriert die prekäre Lage der ländlichen Gemeinden: Nach dem Ende des Kommunismus wurden die Ackerflächen an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben, die allerdings oft mit Landwirtschaft nichts mehr am Hut hatten. Nun werden die Felder von Konzernen gepachtet, doch lokale Arbeitsplätze entstehen dadurch keine. Zur Ernte rücken schwere Maschinen an, die die Wasserleitungen unter den Straßen beschädigen. Das Flicken der Wasserleitungen ist die einzige neue Beschäftigung, die für die EinwohnerInnen von Boynitsa entstanden ist.
Das Geschäftsmodell der neuen Feudalherren: Spekulation, Subventionen und Steuervermeidung
Nicht nur in den ehemals kommunistischen Staaten, auch in vielen Teilen Westeuropas sind Konzerne dabei, die Äcker aufzukaufen, oftmals über gesetzliche Schlupflöcher. Denn während der Erwerb von Land gesetzlich geregelt ist, entziehen sich Anteilskäufe an Agrarunternehmen in fast allen Mitgliedstaaten der öffentlichen Kontrolle - und damit auch der Steuer. Boden ist in Zeiten von wirtschaftlicher Unsicherheit und absehbarer Rohstoffknappheit ein begehrtes Spekulationsobjekt. Dadurch steigen die Bodenpreise, auch für bäuerliche LebensmittelproduzentInnen und ExistenzgründerInnen, die sich Land kaum mehr leisten können. Angekurbelt wird der Run aufs Land zusätzlich durch die Subventionen der Gemeinsamen Agrarpolitik. Auch hier nutzen die Agrarkonzerne Schlupflöcher: Oft gründen sie mehrere Tochterbetriebe, um höhere Subventionen für kleinere Betriebe abzusahnen. Als erster Schritt muss hier Transparenz geschaffen werden, in wessen Taschen die Gelder tatsächlich fließen, so das Europäische Parlament.
Die Folge ist, dass viele kleinere Betriebe zusperren oder keinen Nachfolger finden - doch das wird auf politischer Ebene nicht unbedingt als Problem wahrgenommen. Die EU-Kommission spricht euphemistisch von einem „natürlichen und sogar notwendigen Prozess des Strukturwandels“. Da weniger als 3% aller Betriebe in der EU größer als 100 Hektar seien, gäbe es noch Spielraum für weiteren Strukturwandel, so die Kommission. Die Grünen/EFA sind froh, dass das EU-Parlament nun dagegen hält und Politik zugunsten kleiner und mittlerer bäuerlicher Betriebe, die agrarökologisch wirtschaften, fordert. Dass es auch anders geht, zeigt zum Beispiel Frankreich, wo die Bodenpreise relativ stabil sind - weil stark reguliert.
Mehr Infos:
Extent of farmland grabbing in the EU, Studie im Auftrag des EP-Landwirtschaftsausschusses, 2015.
Landjäger - Europas Äcker im Ausverkauf, Broschüre im Auftrag von MdEP Maria Heubuch, 2016.
Konferenz der Grünen/EFA „Zugang zu Land für Bäuerinnen und Bauern”, 2016.