Wie pestizide unsere ernährungssouveränität gefährden
Ein angriff auf die natur ist ein angriff auf die versorgungssicherheit!
Pestizide zu reduzieren bedroht unsere Ernährungssicherheit nicht - den Status quo beizubehalten jedoch schon! Wenn wir chemische Pestizide weiter so nutzen wie bisher, gefährdet das bald die Lebensmittelproduktion hier in Europa. IPCC, IPBES und sogar die Europäische Kommission[1] haben erst kürzlich wieder darauf hingewiesen: Chemische Pestizide tragen zur Zerstörung von Ökosystemen bei und können die Bodengesundheit schädigen, was zu einem Rückgang der Produktivität und geringeren Erträgen führt.
“Business as usual” ist keine Option.
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DIE ERNÄHRUNGSSICHERHEIT IN DER EU IST NICHT GEFÄHRDET...
- Wir produzieren in der EU mehr als genug Lebensmittel: jedes Jahr landen 88 Millionen Tonnen oder 20 % aller Lebensmittel im Müll[2] - neuesten Schätzungen zufolge sind es sogar 153 Millionen Tonnen[3]! Deshalb müssen wir dringend etwas gegen die Lebensmittelverschwendung unternehmen.
- Wir verfüttern den Großteil unserer Ernte an Tiere, nämlich 60 % der gesamten Getreideproduktion in der EU[4]. Wenn wir es mit der Ernährungssicherheit ernst meinen, müssen wir dafür sorgen, dass Lebensmittel vorrangig auf dem Teller und nicht im Trog landen!
- Zu viel Getreide wird außerdem als Agrokraftstoff verheizt. Im Jahr 2021 wurden in der EU 11 Millionen Tonnen Getreide und 8,6 Millionen Tonnen Pflanzenöl zu Kraftstoffen verarbeitet[5].
- Was wirklich zählt, ist den Zugang zu Nahrungsmitteln für die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft zu sichern. Dafür braucht es dringend wirtschaftliche und soziale Maßnahmen wie ein Ende der Lebensmittelspekulationen.
...ABER PESTIZIDE SCHADEN DER ARTENVIELFALT, DIE WIR FÜR EIN KRISENFESTES ERNÄHRUNGSSYSTEM BRAUCHEN
- Die Insektenpopulation in Schutzgebieten in Deutschland ist innerhalb von 30 Jahren um 75% zurückgegangen[6].
- In der EU sind 50 % der Schmetterlingsbestände im Grünland zwischen 1990 und 2011 verschwunden[7].
- Rund 40 % aller Fluginsektenarten sind weltweit vom Aussterben bedroht, dabei sind Insekten als Bestäuber sehr wichtig für unsere Lebensmittelproduktion.[8]
- Der Verlust von Bestäubern stellt langfristig eine Bedrohung für die Landwirtschaft dar. Schuld an ihrem Rückgang ist unter anderem auch der Einsatz von chemischen Pestiziden[9].
- Außerdem sind 80 % der Böden in der EU bereits mit Pestiziden belastet[11], was ihre Fruchtbarkeit und Produktivität beeinträchtigen könnte.
EIN GERINGERER PESTIZIDEINSATZ IST OHNE ERTRAGSEINBUSSEN MÖGLICH
- Auf vielen Betrieben könnten bis zu 40% weniger Pestizide eingesetzt werden – ohne Ertrag zu verlieren[12].
- Bei bienenschädigenden Neonicotinoiden geht sogar noch mehr: Ohne Ernteverluste konnten 95% reduziert werden[13].
- Der Einsatz von Pestiziden bei Kartoffeln und Weizen wurde ebenfalls ohne Ertragseinbußen um 90 % gesenkt[14].
- Die Alternativen liegen schon auf dem Tisch: Biologische Schädlingsbekämpfung durch Pheromone oder Netze schützen Obst wie Weintrauben und Äpfel sehr wirksam vor Schädlingen wie dem Apfelwickler – ganz ohne Insektizide.
EIN GERINGERER PESTIZIDEINSATZ IST FÜR LANDWIRT*INNEN SOGAR PROFITABLER!
- Studien zeigen, dass die Ausgaben für Betriebsmittel in fast allen EU-Agrarmitgliedstaaten in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen haben: Zwischen 2015 und 2017 gaben Landwirt*innen pro Hektar zwischen +58 % (Irland) und +110 % (Spanien) mehr aus als 20 Jahre zuvor – die Erträge stiegen gleichzeitig aber wesentlich weniger an[16].
- Das durchschnittliche Nettoeinkommen in allen großen landwirtschaftlichen Mitgliedstaaten der EU (außer Spaniens) ist deshalb zwischen 1997 und 2017 deutlich gesunken. Der Rückgang reicht von -6 % in Deutschland bis zu -33 % in Belgien[17].
- Die wirtschaftliche Effizienz der Landwirt*innen sinkt mit jedem Euro, den sie für Betriebsmittel wie chemische Pestizide ausgeben. Je mehr Pestizide eingesetzt werden, desto stärker sinkt das Einkommen.
- Auch wenn die Erträge im ökologischen Landbau etwas geringer sind, ist diese Art der Landwirtschaft im Schnitt 22-35 % rentabler - das ergab eine Untersuchung von 55 verschiedene Kulturen, die über einen Zeitraum von 40 Jahren auf fünf Kontinenten ökologisch angebaut wurden[18].
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Kurzum, die Agrarökologie hat sich in der gesamten EU als wirtschaftlich effizienter erwiesen. Den Einsatz chemischer Pestizide und damit auch deren Kosten zu reduzieren ist „gesunder Menschenverstand“: Jeder gesparte Euro kann in die Zukunft investiert werden!
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PESTIZIDE VERGIFTEN LANDWIRT*INNEN
- Der Einsatz von Pestiziden kann neurodegenerative Krankheiten und Krebserkrankungen verursachen. Besonders Landwirt*innen sind betroffen - beispielsweise vom Non-Hodgkin-Lymphom, einer unter regelmäßigen Pestizidanwendern weit verbreiteten Krebsart[19].
- Das Non-Hodgkin-Lymphom wurde vor kurzem in Frankreich sogar als landwirtschaftliche Berufskrankheit eingestuft und wird nun von der Krankenversicherung anerkannt.
- Nur Frankreich und Italien erkennen außerdem den Zusammenhang von Parkinson und Landwirtschaft offiziell an[20].
- Erst kürzlich wurde Monsanto in Frankreich zu einer Entschädigungszahlung verurteilt - ein Landwirt hatte nach gesundheitlichen Schäden durch eine Herbizidvergiftung geklagt
PESTIZIDE SCHADEN DER MENSCHLICHE GESUNDHEIT
- In der EU gibt es jährlich 1,6 Millionen (unbeabsichtigte) Pestizidvergiftungen[21].
- Ein Drittel der Früchte in der EU ist mit Pestiziden kontaminiert[22].
- In Frankreich leben 20 % der Menschen in Regionen, in denen das Trinkwasser zumindest zeitweise Pestizidrückstände oberhalb der gesetzlich erlaubten Grenzwerte aufweist[23].
- In Wien wurden in einer Studie der Universität für Bodenkultur 17 verschiedene Pestizide in der Luft gefunden[24].
- Wir sind Pestiziden also auch ständig im Alltag ausgesetzt – und zwar immer ganzen Cocktails an verschiedenen Wirkstoffen. Was das für unsere Gesundheit bedeutet, ist weder erforscht noch Teil der Zulassungsverfahren für Pestizide in der EU.
PESTIZIDE BELASTEN DIE STEUERZAHLER
- Auf EU-Ebene werden jedes Jahr 2,3 Mrd. EUR für die Beseitigung von Schäden durch Pestizide ausgegeben[25].
- Allein die Überwachung und Prüfung der Wasserqualität kostet mehrere hundert Millionen Euro im Jahr[26].
- In Frankreich könnten sich die versteckten Kosten durch den Einsatz synthetischer Pestizide auf mindestens 372 Millionen Euro pro Jahr belaufen[27].
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Kurz gesagt: Zur langfristigen Sicherung unserer Ernährung müssen wir jetzt handeln und lebenswichtige Ressourcen wie Ökosysteme, Böden und Wasser schützen. Wir müssen unsere Ökosysteme und ihre Artenvielfalt ebenso erhalten wie die öffentliche Gesundheit. Und vor allem müssen wir uns um die kümmern, die uns ernähren – Landwirt*innen. Wenn wir nichts tun, schaden wir ihnen und uns auf lange Sicht.
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Referenzen
[1]https://commission.europa.eu/system/files/2023-01/SWD_2023_4_1_EN_document_travail_service_part1_v2.pdf
[2] Figures from the European Commission
[3] Report from Feedback EU, 2022
[4] Figures from WUR, 2020
[5] Figures from DUH
[6] Hallmann et al., More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas, 2017. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0185809
[7] van Swaay C, van Strien A, Harpke A, Fontaine B, Stefanescu C, Roy D, et al. The European grassland butterfly indicator: 1990–2011. EEA Technical Reports. 2013;11.
[8]https://www.inrae.fr/actualites/biodiversite-services-rendus-nature-que-sait-limpact-pesticides
[9] S. Myers et al. « Pollinator Deficits, Food Consumption, and Consequences for Human Health: A Modeling Study », 2022
[10] Geissen et al., “Pesticide residues in European agricultural soils – A hidden reality unfolded”
[11] Strona and Bradshaw, Sci. Adv. 8, eabn4345 (2022), JRC EU COM & University Helsinki: Coextinctions dominate future vertebrate losses from climate and land use change.
Lechenet, M., Dessaint, F., Py, G. et al. Reducing pesticide use
[12] Lechenet, M., Dessaint, F., Py, G. et al. Reducing pesticide use while preserving crop productivity and profitability on arable farms. Nature Plants 3, 17008 (2017)
[13] Lorenzo Furlan et al (2017) An update of the Worldwide Integrated Assessment (WIA) on systemic insecticides. Part 3: alternatives to systemic insecticides (2018) https://link.springer.com/article/10.1007/s11356-017-1052-5
https://d-nb.info/1155575059/34
Pecenka, Ingwell & Krupke (2021). IPM reduces insecticide applications by 95% while maintaining or enhancing crop yields through wild pollinator conservation. Proceedings of the National Academy of Sciences. 118. e2108429118. 10.1073/pnas.2108429118. (up to 26% by pollination dependent spp)
[14] Skevas, T., & Lansink, A. O. (2014). Reducing pesticide use and pesticide impact by productivity growth: the case of Dutch arable farming. Journal of agricultural economics, 65(1), 191-211.
[15] Le Basic, “Break out of the Silo” 2021
[16] ibid
[17] ibid
[18] ibid
[19] Zhang et al., Exposure to glyphosate-based herbicides and risk for non-Hodgkin lymphoma: A meta-analysis and supporting evidence, 2019
[20]https://www.dw.com/en/poisoned-land-the-rural-rise-of-parkinsons/a-58319218
[21] Boedeker W, Watts M, Clausing P, Marquez E. The global distribution of acute unintentional pesticide poisoning: estimations based on a systematic review. BMC Public Health. 2020 Dec 7;
[22] PAN Europe Study 2022
[23]https://www.lemonde.fr/planete/article/2022/09/21/pesticides-20-des-francais-ont-recu-de-l-eau-potable-non-conforme-en-2021_6142608_3244.html
[24] Johann G. Zaller, Maren Kruse-Plaß et al, Pesticides in ambient air, influenced by surrounding land use and weather, pose a potential threat to biodiversity and humans, Science of The Total Environment, Volume 838, Part 2, 2022
[25]https://www.arc2020.eu/wp-content/uploads/2021/11/Pesticides-a-model-thats-costing-us-dearly_EN-Concept-note-3.pdf
[26] Neumeister 2010; i.e. NLWKN 2019
[27] Alliot et al, The social costs of pesticide use in France, 2022.