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"Die Arroganz der Verantwortlichen - damals und heute"

Wo warst Du vor 20 Jahren ? - Elisabeth Schroedter erinnert sich

In den offiziellen DDR-Nachrichten hörte ich nur eine kurze nichtssagende Meldung. Elektrisiert wurde ich erst, als ich aus dem Knistern und Knacken des Mittelwellenempfangs die Nachrichten der Westsender heraushörte. Wir lebten damals in Mecklenburg, östlich von Neubrandenburg, dem zweiten "Tal der Ahnungslosen" in der DDR. Der Störsender auf dem Helpter Berg fing alle UKW-Nachrichten aus Westberlin ab. Ich kann mich noch erinnern, wie unendlich lang mir die halbe Stunde bis zu den nächsten Nachrichten vorkam. Denn zunächst konnte ich nicht glauben, was ich meinte verstanden zu haben.

Bis in die Nacht hinein diskutierte ich mit meinem Mann über Schutzmöglichkeiten für unsere beiden Kinder, die damals 3 1/2 und 1 1/2 Jahre alt waren. Zum Glück arbeitete ich damals nur wenige Stunden bei der Kirchgemeinde. So konnte mich selbst um sie kümmern.

Im Ort schienen wir die Einzigen zu sein, die die Nachricht von der Explosion des Reaktors in Tschernobyl in Aufregung versetzte. Als ich mich am Montag im Dorfkonsum mit der letzten unbelasteten Milch und Butter eindeckte, wurde ich belächelt. Als ich Tage später die Nachbarin frische Milch kaufen sah und dazu bemerkte: "Die kann man doch jetzt nicht mehr trinken!", schauten mich alle im Laden kopfschüttelt an. "Unsere Milch ist in Ordnung. Die wird doch überprüft", hieß es. Als ich die Kinder nach dem warmen Frühjahrsregen trotz des herrlichen Wetters nicht draußen spielen ließ, konnte das niemand nachvollziehen.

Auch der Westen schwenkte nach etwa einer Woche in die Verharmlosungen ein. Die Nachrichtenlage wurde immer verwirrender. Ich war verzweifelt, weil wir niemanden um Rat fragen konnten. Ich fühlte mich so allein gelassen mit all den Entscheidungen, die es zu treffen galt. Wir hatten damals wie die meisten DDR-BürgerInnen kein Telefon, so konnte ich mich nur per Brief mit Freunden aus Sachsen austauschen. Es gab Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger Jahre eine in der "Kirche von Unten" verankerte Bewegung gegen die Fertigstellung des Atomkraftwerkes in Stendal und die Neubauplanung in der Dübener Heide, nur ca. 30 Kilometer von Leipzig entfernt, der ich nahe stand.

Später, als Abgeordnete und Präsidentin für die Beziehungen des Europäischen Parlaments zu Belarus und der Ukraine, erfuhr ich, dass auch die Mütter und Väter, die in der Nähe des Unglücksortes wohnten, lange Zeit nichts über die Strahlengefahr erfuhren.

Zum 10. Jahrestag begannen die Regierungen die verseuchten Gebiete wieder zu besiedeln. Die WHO verweigert bis heute die Anerkennung von vielen Folgekrankheiten. Wissenschaftler produzieren Alibigutachten. Die Arroganz der Verantwortlichen gegenüber den Betroffenen damals und heute, regt mich immer wieder maßlos auf. Die Wahrheit über die möglichen Folgen der Atomenergie darf nicht länger verschwiegen werden.

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