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"Eine Katastrophe, die wachgerüttelt hat"

Wo warst Du vor 20 Jahren ? - Angelika Beer erinnert sich

Der Tag des GAUs in Tschernobyl ging mir durch Mark und Bein. Ich war zu Hause, in Neumünster, als ich die Radiomeldung hörte. Meine erste Überlegung war: Wo ist mein Sohn? Ab ins Haus. Dann die unfassbare Realität: Ich wusste über die Gefahr genau Bescheid und jetzt passiert, wovor wir immer gewarnt haben. So ist es also, die Gefahr zu kennen, aber sie nicht fühlen zu können. Schließlich hat unsere örtliche Anti-AKW Initiative seit Monaten nicht nur den Protest gegen Brokdorf und andere AKWs mitgetragen, sondern jeden Samstag an Infoständen versucht, die Menschen aufzuklären über einen Super GAU und sie zu mobilisieren. Dazu haben wir uns mit allem sehr genau auseinandergesetzt: Kettenreaktion, Fall out, Verseuchung von Mensch, Tier und Flora auf Jahrzehnte. Das alles schoss mir durch den Kopf. Ich hatte gerade Salat gegessen, als die Meldung im Radio lief. Mir wurde sofort speiübel. Als nächstes habe ich – irgendwie muss mensch sich ja beschäftigen, wenn Unfassbares eben doch geschehen ist – alle frischen Lebensmittel sortiert. Obst und Gemüse weggeschmissen und sicherlich auch einiges, was durchaus hätte im Schrank bleiben können.

Unendliche Wut baute sich danach auf, ein Mischung mit Hilflosigkeit, die viele – auch bis dahin nicht aktive Anti-AKW-Gegner – am frühen Abend zu einer Spontanreaktion in der Innenstadt zusammenkommen ließ.

Für mich war der Kampf gegen das AKW in Brokdorf die Politisierung überhaupt gewesen. Ich habe schon vorher politisch gearbeitet, aber die Atomfrage war existentiell: Das ist tödlich, warum machen die das trotzdem? Vor dem Tor in Brokdorf hab ich oft genug gesessen, die Hubschrauber kannte ich auch. Brokdorf war nicht nur eine Öko-Graswurzelbewegung, sondern ein buntes Bündnis unterschiedlichster Initiativen, die sich aus Angst vor AKWs zusammengeschlossen haben. Insofern waren wir ja irgendwie mental auch vorbereitet auf eine Katastrophe, wie sie in Tschernobyl passiert ist. Wir waren auch eigentlich keine Bürger-Initiativen mehr, sondern hochgeschulte Experten, die über die Gefahren des Atomstroms genau Bescheid wussten, die Blockaden organisierten und Busse charterten. Am Ende hatten wir immer Schutzkleidung wegen der Wasserwerfer an und sogar Augenschutzbrillen gegen das Tränengas. Ich hatte Hausdurchsuchungen, die haben meinen Kamin auseinandergenommen. Als ich Jahre später eine Zeitlang unter Personenschutz stand, traf ich auf Polizisten, die sagten, wir kennen uns doch irgendwoher.

Tschernobyl war eine schlimme Katastrophe, aber sie hat viele Menschen erst wachgerüttelt. 20 Jahre danach gilt es, entschieden am Atomausstieg festzuhalten.

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